Herzstück der Krisenkommunikation
Wer eine Krise erfolgreich bewältigen möchte, sollte vorbereitet sein. Zum unverzichtbaren Bestandteil der Prävention gehört dabei das Krisenhandbuch. Neben anderem sollte es grundlegende Regeln für den Umgang mit Krisen und Organisationshilfen bereithalten.
Es muss sich nicht immer gleich um einen mutmaßlichen Störfall wie den Transformator-Brand des AKW Krümmel im Juni 2007 handeln. Oft reichen schon kleinere Vorfälle wie ein kurzfristiger Datenausfall aus, um ein Ereignis zur Krise anwachsen zu lassen. Kommt dann noch mangelhafte Informationspolitik wie bei Krümmel hinzu, ist ein großflächiger Imageschaden unausweichlich. Die Kritik an der mangelnden Transparenz und Kooperation des Betreibers Vattenfall zog sich durch Politik, Umweltverbände und Bevölkerung. Die Folgen des katastrophalen Krisenmanagements sind bekannt: Vorstand und Leiter Unternehmenskommunikation wurden ausgetauscht, ein nachhaltiger Imageschaden war unausweichlich.
Jede Krise ist individuell und es gibt auch keinen Fahrplan zur Bewältigung von Krisen. Aber: Es gibt Erkenntnisse und Regeln, die man beachten sollte. Und es gibt eben die Möglichkeit der Krisenprävention! Nur vor einer Krise können systematisch der Handlungsvorgang bzw. die verschiedenen Handlungsoptionen erarbeitet werden. Eine professionelle Krisenkommunikation schützt die wichtigsten Vermögenswerte einer Organisation so umfassend wie möglich. Sie ist zugleich strategische Chance, das Schlimme zum Guten zu wenden.
Die Krise ist eine Herausforderung: Die Stunde der Krise ist die Stunde der Kreativität. Kreativität kann jedoch nur der entfalten, der sich um „Generelles“ nicht zu kümmern braucht. Deshalb sollten in jedem Unternehmen folgende Schritte schon vor dem „Fall der Fälle“ durchgeführt worden sein: Die Richtlinien für den Umgang und das Vorgehen in unternehmensspezifischen Krisenfällen sollten bereits festgelegt worden sein. Ebenso eine Bestandsaufnahme und Prüfung der vorhandenen Prozesse im Krisenmanagement. Auch unternehmensspezifische Risiken (Szenarien) und Handlungsanweisungen für definierte Szenarien sollten bereits herausgearbeitet worden sein. Insbesondere sollten die operativen und kommunikativen Elemente bereits verknüpft sein, da es hier erfahrungsgemäß im Ernstfall zu Zielkonflikten und Reibungsverlusten kommt.
Herzstück: das Handbuch
Das Krisenmanual oder -handbuch bildet das Herzstück jeglicher Krisenarbeit. Idealerweise ist es multifunktional. In einem allgemeinen Teil enthält es die für Not- und Krisenfälle grundsätzlich geltenden von „oben“ abgesegneten Unternehmensrichtlinien („Policies“). Ebenfalls Bestandteil der allgemeinen Beschreibung sind die für die jeweilige Organisation adaptierten allgemein gültigen Verhaltensregeln. Darüber hinaus liefert das Handbuch praktische Organisationshilfen: Flow-Charts, Checklisten, Pläne und Formulare. Es enthält ebenso Alarmpläne (Wer ist wann und wie erreichbar?) wie Verzeichnisse interner und externer Ansprechpartner. Diese individuell zusammengestellten Kontaktlisten aller Art sind unverzichtbar, wenn sie in regelmäßigen Abständen regelmäßig überprüft und aktualisiert werden. Tagesaktuell ist wünschenswert, monatlich ist sinnvoll, quartalsmäßig ist das Minimum. Diese Listen umfassen unter anderem:
- Krisenteam-Mitglieder, Führungskräfte und Unterstützungsteam
- externe Dienstleister (Krisenberater, PR-Agentur)
- „Stakeholder“
- Behörden (Genehmigungsbehörden, Aufsichtsbehörden, Stadt-/Kreisverwaltung, Fachdienststellen, nationale und internationale)
- Medien (lokale und überregionale Redaktionen, Agenturen, Schlüssel-Journalisten)
- Dienstleister aller Art (Catering, Transport, Bewachung, Betreuung), soweit diese nicht bereits im Organisationsteil erfasst sind
Ferner gehört zu den wichtigsten Vorbereitungen für den Ernstfall eine Personalmatrix, in der die Rollen vorab verteilt werden.
Individuelle Krisenprofile
Wesentlicher Bestandteil des Handbuches ist das Krisenprofil. Seine Erstellung ist die Basisanalyse jedes guten Krisenmanagements. Hierbei werden die Risikopotenziale aus allen Bereichen des Unternehmens unter kommunikativen Aspekten erfasst, analysiert und bewertet. Erkannt werden diese Krisenpotenziale etwa durch Fragenkataloge, Workshops, die Entwicklung von Krisenszenarien und -simulationen oder durch wissenschaftliche Datenbanken, Sammlungen von Krisenfällen aus unterschiedlichen Branchen.
Hier kann vorher abgeschätzt werden, welche Krisen passieren können, was deren Ursachen und Folgen sein können, wie Kunden, Behörden, Gewerkschafter, Anwohner etc. voraussichtlich reagieren und wie das Unternehmen handeln bzw. die Informationspolitik aussehen sollte.
Für die Krisenintervention werden aus den Szenarien prototypisch die praktischen Handlungsanweisungen für die jeweiligen spezifischen Fallgruppen entwickelt und dargestellt. Sie führen die für diese Situation potentiellen Medien nach Zielgruppen und Themen auf und definieren Multiplikatoren, Meinungsführer und Trojaner.
Formalia fürs Krisenhandbuch
Trotz aller Komplexität soll das Krisenhandbuch für alle Beteiligten so leicht wie möglich handhabbar sein. Die Grundvoraussetzung bildet eine einfache, logische und nachvollziehbare Struktur. Sinnvoll ist es, die Inhalte grafisch übersichtlich aufzubereiten und Führungs- und Leitsysteme einzusetzen. Das kann durch logische Ordnungsmerkmale in der Gliederung ebenso geschehen wie durch Farbleitsysteme, Icons und Piktogramme. Handlungsanweisungen sollen in klarer, verständlicher Sprache aufgeschrieben werden: möglichst kurze Sätze, keine erklärungsbedürftigen Fachbegriffe, Fremdwörter und unnötige Anglizismen. Bei internationalen Auftritten sind eigenständige Fremdsprachen-Ausgaben leichter handhabbar als in sich mehrsprachige Texte. Außerdem hilfreich: Checklisten sowohl mit Merkposten als auch zum Abhaken sowie Formulare für Recherche, Organisation und Dokumentation.
Kurz gesagt: Gute Krisenmanuals sind leicht handhabbar, enthalten alle wichtigen Informationen – und sind trotzdem nicht zu dick. Selbstverständlich kann und darf nicht jedes kleinste Detail darin geregelt sein. Es muss ein sinnvoller Rahmen vorgegeben werden, der genügend Raum für flexible Entscheidungen lässt.
Kontinuierliche Vorbereitung
Niemand ist in der Lage, in einer Krise wirklich perfekt zu handeln. Letztlich entscheidet die Summe rechtzeitig erkannter und verhinderter Fehler gutes von schlechtem Krisenmanagement. Ein Leitspruch unter Krisenexperten heißt: „Die Frage lautet nicht, ob die Krise kommt, sondern wann die Krise kommt.“ Deswegen ist die kontinuierliche Vorbereitung auf mögliche Krisen ein Muss für Unternehmen und Organisationen, die es ernst mit dem Krisenmanagement meinen. Denn schließlich möchte jeder mit möglichst wenig Schaden an Bilanz und Ansehen sein Unternehmen durch eine Krise steuern.
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Zur Person:
Thorsten Hofmann ist Wissenschaftlicher Leiter des Instituts „Political & Crisis Management“ an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Hofmann studierte Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Verwaltungswissenschaften und ist Absolvent der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, der höchstrangigen, ministerienübergreifenden Fortbildungsstätte des Bundes. Weitreichende Erfahrungen sammelte er unter anderem in Geschäftsbereichen verschiedener Ministerien und in der Beratung von Mitgliedern der Bundesregierung.
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