Die Furcht vor dem Wutbürger überwinden
Egal ob Netzausbau zur Stromversorgung, neue Windräder, Geothermiekraftwerke oder andere Infrastrukturvorhaben:
Protestformen scheinen an der Tagesordnung. Die Lautstärke von gut organisierten Gruppen bestimmt die Chancen der Masse. Zunehmend professionalisieren Bürgerinitiativen ihre Kommunikation. Was das für Kommunikatoren bedeutet: eine Analyse.
Skepsis der Bürger gegenüber großen Bauvorhaben ist kein neues Phänomen. Denn die meist komplexen und finanziell auf wendigen Bauprojekte berühren eine Vielzahl verschiedener Inter essen, die miteinander in Konflikt geraten können. Das Misstrauen innerhalb der Bevölkerung hat in den vergangenen Jahren jedoch zugenommen. Eine Allensbach- Studie vom September 2011 belegt, dass die Mehrheit der Befragten schon beim Begriff „große Bauprojekte“ spontan negativ reagiert. Die Fokussierung auf das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 verdeckt, dass auch viele andere Infrastrukturvorhaben aktuell blockiert werden. Noch nie war es so einfach wie heute, über das Internet Befürchtungen zu teilen, sich zu verbünden und Mitstreiter zu mobilisieren. Das zeigt sich auch hinsichtlich der Professionalisierung der Kommunikation: Bürgerinitiativen haben zunehmend das Thema strategische Öffentlichkeitsarbeit für sich entdeckt. Sie professionalisieren sich zusehends in ihrer Informationspolitik, gehen Allianzen ein und nutzen dabei gezielt die verschiedensten Kommunikationskanäle, um Unterstützer zu gewinnen.
Die Bauherren wirken dabei oft wie auf verlorenem Posten. Denn Angst macht Auflage. So herrscht zwischen Medien und Bürgern eine Misstrauensachse gegenüber Politik und Wirtschaft, die den eigentlichen Sachverhalt oft nur verkürzt wiedergibt. Denn die Themen aus dem Netz gelangen zunehmend auch in die klassischen Medien. Ist einmal eine negative Stimmung im Bewusstsein der Menschen verankert, scheint es fast unmöglich, breite Akzeptanz für ein Bauvorhaben zu erreichen. Der Bauherr, ob privates Unternehmen oder öffentliche Hand, läuft Gefahr, fortwährend in die Defensive zu geraten. Politiker und Unternehmen erreichen die Menschen nicht mehr nur auf den klassischen Kommunikationskanälen, sondern müssen erfinderisch werden, um nicht von einer Protestwelle überrollt zu werden.
Dieser Effekt wird regelmäßig dadurch verstärkt, dass Projektgegner die juristische Toolbox öffnen, um unliebsame Projekte zu verhindern. Große Bau- und Infrastrukturprojekte dürfen nur realisiert werden, wenn sie von staatlichen Stellen genehmigt worden sind – etwa durch einen Planfeststellungsbeschluss oder aufgrund eines Bebauungsplans. Diese staatlichen Entscheidungen stellen den zentralen juristischen Angriffspunkt der Projektgegner dar. Daneben gibt es heute zahlreiche Möglichkeiten breiter Mobilisierung in Form direkter Demokratie wie Bürgerbegehren.
Kommunikatoren und baubegleitende Rechtsanwälte stehen angesichts der beschriebenen Projektrisiken vor großen Herausforderungen: Wie können einerseits Ängste reduziert und die Diskussion versachlicht werden? Wie können andererseits die erforderlichen Genehmigungsverfahren möglichst rechtssicher gestaltet werden, um die Gefahren für den Projekterfolg zu minimieren? Zum einen gilt es, die Blackbox ‚Bauvorhaben‘ im Vorfeld durch die Einbeziehung aller Beteiligten transparent zu machen und so möglichen Ängsten und Misstrauen rechtzeitig entgegenwirken zu können. Zum anderen ist in jedem Fall eine gründliche Vorbereitung des Genehmigungsverfahrens erforderlich. Die maßgeblichen tatsächlichen Umstände müssen geklärt und rechtlich zutreffend bewertet werden, damit die zuständige Genehmigungsbehörde eine fundierte Entscheidung treffen kann.
Stricken gegen Bauschutt
Sobald die Planung eines Großprojekts Gestalt annimmt, greift sie in die persönlichen Lebensverhältnisse der betroffenen Menschen ein und wird zunächst als Bedrohung wahrgenommen. Fehlendes Vertrauen, Intransparenz und mangelnde Kommunikation bilden den idealen Nährboden für Vorurteile und schüren Besorgnis. Der Nutzen des Projekts wird zunehmend in Frage gestellt. Dieser zunächst immaterielle Schaden kann sich sehr bald in Zahlen ausdrücken, wenn es beispielsweise durch Protestaktionen oder Klagen zu einer Bauverzögerung oder einem Baustopp kommt.
So erging es im Jahr 2009 auch einem Abbruchunternehmen, das eine Bauschuttdeponie in einer Sandgrube bei Bremerhaven in der Nähe von Landschaftsschutzgebieten einrichten wollte. Eine Bürger-initiative rief über ihre Webseite zur Teilnahme an Montagsdemos oder künstlerischen Protestaktionen wie dem Guerilla-Stricken oder einem Kunst- und Kulturfest auf. Die „Bild“ titelte: „Naturschutzgebiet soll Müllhalde werden.“ Zudem bot die Webseite der Bürgerinitiative den Deponiegegnern ein professionelles Schreiben mit über 100 Gegenargumenten zum Download. Während die Initiative als aktive Instanz mit klaren Botschaften wahrgenommen wurde und so innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Unterstützer mobilisierte, versäumte es das Unternehmen, aktiv zu kommunizieren: Es vermied den Dialog mit der Bürgerinitiative und definierte keine Botschaften, mit denen die Sorgen der Menschen im Vorfeld hätten entkräftet werden können. Dies hat die Position der Gegner zusätzlich gestärkt. Hinzu kam, dass die Projektgegner die Kommune auf ihrer Seite hatten. Diese leitete nämlich ein Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans ein, wonach das betreffende Gebiet Naherholungszwecken dienen sollte. In diesem Zusammenhang erließ die Gemeinde eine sogenannte Veränderungssperre, die ihre Planung sichern sollte. Das Abbruchunternehmen stellte zur Durchsetzung seiner Interessen einen Normenkontrollantrag beim zuständigen Oberverwaltungsgericht gegen die Veränderungssperre. Das Verfahren erledigte sich, weil der Bebauungsplan in der Zwischenzeit in Kraft trat. Über die auch gegen den Bebauungsplan an sich eingeleitete Normenkontrolle, die diesen möglicherweise noch kippen und den Weg für das Projekt freimachen könnte, wird wohl erst im Jahr 2013 entschieden werden. Zumindest so lange liegt das Projekt auf Eis.
Ein ähnliches Beispiel bietet die Debatte um die Verlängerung der Berliner Stadtautobahn A100 vom Dreieck Neukölln zum Treptower Park, die mit 420 Millionen Euro im Bundesverkehrswegeplan enthalten ist. Auf ihrer Internetplattform www.stop-a100.de warnte die Bürgerinitiative ‚Stadtring Süd Biss Berlin‘ vor der dauerhaften „Autowüste“ aufgrund erhöhten Verkehrsaufkommens. Hinter der Plattform steckt ein durchdachtes Konzept: So konnten Unterschriften gesammelt, zu Spenden via Youtube aufgerufen und ein sogenannter ‚Volksbutton’ mit der Aufschrift „Stop A100“ verkauft werden. Nicht zuletzt polarisierende und unterhaltsame Videos haben die potenzielle Zielgruppe angesprochen und innerhalb kurzer Zeit ausgeweitet. Das Video ‚Das Autobahnmonster frisst sich durch Berlin‘ wurde über 400.000 Mal angeschaut. Die Berliner Senatsverwaltung war nicht in der Lage, die Vorteile, die eine Verlängerung der A 100 für die gesamte Infrastruktur haben würde, zu kommunizieren. Organisiert über das Internet folgten Flashmob-Aktionen, in denen sich Menschen als ‚Unfall-Opfer‘ auf eine Brücke legten oder an einer großen Fahrrad- und Skater-Demonstration teilnahmen.
Im Frühjahr 2011 kam es zu einer Klagefront gegen den Planfeststellungsbeschluss für die Stadtautobahn. Die Projektgegner machten unter anderem geltend, die Planfeststellung sei wegen Mängeln bei der Verkehrsprognose abwägungsfehlerhaft. Das zuständige Bundesverwaltungsgericht hat daraufhin in seinem Beschluss vom 31. März 2012 vorläufigen Rechtsschutz gewährt und die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Ein öffentliches Interesse an der sofortigen Umsetzung des Planfeststellungsbeschlusses sei nicht festzustellen, weil die Bauarbeiten ohnehin nicht vor März 2012 beginnen sollten. Zwar könne der Träger sein Vorhaben intern weiter vorbereiten, dies geschehe aber, so das Gericht ausdrücklich, auf sein eigenes Risiko.
Der vorläufige Stopp der A100 zeigte Wirkung: und das Thema wurde zum Politikum. Im Sommer 2011, anlässlich der Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses, war der Ausbau der A100 beherrschendes Wahlkampfthema aller Parteien. Es wurde versäumt, die Bürger rechtzeitig einzubeziehen und für vertrauensbildende Informationen zu sorgen.
Sorgen ernst nehmen
Die Erkenntnis aus diesen Beispielen: Ein Großprojekt muss neben einem einwandfreien rechtlichen Genehmigungsverfahren auch von Beginn an kommunikativ begleitet werden. Diese Kommunikation beruht auf zwei Säulen. Auf einer Sachebene gilt es, Informationen schnell, aufklärend, umfassend und vor allem verständlich und nachvollziehbar zu kommunizieren. Dazu gehört auch eine juristische Begleitung, die nicht nur mit Normen umzugehen weiß, sondern deren Handhabung auch eingängig erläutern und vertreten kann. Auf der Gefühlsebene muss auf der einen Seite offen, ehrlich und glaubwürdig interagiert und auf der anderen Seite eine positive Zukunftsstory, die einen gesellschaftlichen Zweck vermittelt, dargestellt werden. Nur wer seine Botschaften auf diese beiden Säulen von Beginn an aufbaut, wird als vertrauensvoller Dialogpartner im Gesamtverlauf eines solchen Prozesses wahrgenommen und schützt sich vor einer Defensiv-Position. Aber auch bei den positiv besetzten Erneuerbaren Energien reagieren Anwohner auf konkrete Projekte mit Skepsis. Neue Technologien beinhalten ein Sorgenpotenzial, da die Bürger bislang wenig Erfahrung mit diesen haben. Als es im Sommer 2009 in Landau in der Nähe eines Geothermiekraftwerks zu leichten Beben kommt, wird dieses Potenzial aktiviert: Bürgerinitiativen thematisieren und transportieren die Ängste mit breitem Medienecho. Konsequenz: Ein breiter Fortschrittspessimismus hat die Euphorie für die Geothermie vertrieben. Für einige der zuvor schon genehmigten Anträge für weitere Kraftwerke kam es zu Verzögerungen. Mediationsverfahren und die Bildung einer Expertenkommission, wie sie in Landau schließlich eingesetzt wurden, sind wesentliche Elemente zur Versachlichung eines solchen Konflikts und damit wesentliche Elemente für eine präventive, die gerichtliche Auseinandersetzung vermeidende Strategie. Das Mediationsverfahren unterteilte sich dabei in eine Verhandlungs- und eine Umsetzungsphase. Ziel der Verhandlungsphase war es, unter Federführung eines neutralen Mediators zu einem Konsens zwischen den verschiedenen Interessengruppen zu gelangen, der dann in einem Abschlusspapier dokumentiert werden sollte. Darin wurden eine stärkere Bürgerbeteiligung beim Bau weiterer Anlagen sowie die unbürokratische Erstattung von Schäden vorgesehen, die ohnehin wohl nur sehr begrenzt auf die Beben zurückzuführen waren. Die anschließende Umsetzungsphase sollte durch regelmäßige Sitzungen der Beteiligten kritisch begleitet werden. Allerdings dürfen die Schwierigkeiten, durch Mediation einen verbindlichen Konsens zu finden, nicht verkannt werden: Denn sobald sich auch nur ein einzelner Betroffener an dem Verfahren nicht beteiligt, steht die außergerichtliche Gesamtlösung des Konflikts auf dem Spiel.
Eines haben alle drei Beispiele gemeinsam: die Eskalation eines Interessenkonflikts durch unzureichende Kommunikation und zumindest weitgehend erfolgloses juristisches Management. Denn Kommunikatoren und baubegleitende Anwälte stehen heute vor der Herausforderung, die Zuspitzung eines Konflikts möglichst bereits im Vorfeld zu vermeiden. Notwendig sind mehrstufige Strategien.
Auf der einen Seite gehört dazu eine Analyse der Bedürfnisse und Ängste der verschiedenen Stakeholdergruppen und der Sozialstrukturen im Umfeld eines Projektes, genauso wie die Analyse der Medienlandschaft, inklusive Social Media, sowie der Blick auf die politische Lage. All dies gibt Aufschluss über die öffentliche und veröffentlichte Meinung und welche Richtung sie nehmen kann. So können potenzielle Risikofaktoren in der Kommunikation frühzeitig erkannt und für die Gesamtstrategie bedacht werden. Anschließend lassen sich die Ergebnisse aus der Analyse in ein Strategiekonzept integrieren, in dem Botschaften und konkrete Maßnahmen formuliert werden. Mögliche Informationsinstrumente reichen von klassischer Pressearbeit bis hin zur Etablierung von Info-Veranstaltungen, Erlebniskinos, Bürgerforen und Multiplikatorengesprächskreisen, Mediation und partizipativen Verfahren bis hin zu Projektwebsites, Web-2.0-Aktivitäten oder Dialogforen.
In juristischer Hinsicht ist eine gute Vorbereitung des Genehmigungsverfahrens erforderlich. Der maßgebliche Sachverhalt muss juristisch aufgearbeitet, der geltende Rechtsrahmen sachgemäß angewandt und eine ‚gerichtsfeste‘ Entscheidung durch die zuständige Behörde getroffen werden. Anhörungen sollten nicht nur zur Abwehr, sondern auch zum Kennenlernen und Verstehen von Strategien gegen ein Projekt verstanden werden. Zudem müssen die rechtlichen Risiken, die sich aus den Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen ergeben, umfassend bewertet und vom Vorhabenträger bei der Konzeption des Projekts berücksichtigt werden. Klagerechte von Umweltvereinigungen, die durch die Rechtsprechung jüngst erhebliche Erweiterungen erfahren haben, dürfen dabei keinesfalls unterschätzt werden. Wenn möglich, sollte im rechtlich zulässigen Rahmen versucht werden, Texte der Gegner durch Modifizierungen ‚mitzunehmen‘. Stuttgart 21 hat gezeigt, dass das Vorliegen aller Genehmigungen und sonstigen rechtlichen Voraussetzungen keine Gewähr für eine friedliche Projektrealisierung bietet. Die reine Herstellung von Legalität reicht nicht mehr aus. Wesentlich im juristischen Prozess ist daher auch die enge Einbindung der Kommunikation. Eine offene, transparente Kommunikation geht auf die Vorbehalte von Betroffenen und Organisationen ein, erklärt verständlich die juristischen Schritte und vermittelt professionell den eigenen Standpunkt.
Nur wenn berücksichtigt wird, dass Kommunikation und juristische Begleitung bei Bauvorhaben keine Nebensache sind, können Ängste und Bedürfnisse frühzeitig erkannt, Diskussionen versachlicht und Projekte erfolgreich realisiert werden.
-
Autoren:
Thorsten Hofmann ist Fellow des MBA-Programms Public-Affairs an der Quadriga-Hochschule Berlin und Lehrbeauftragter für Krisen- und Risikokommunikation an verschiedenen internationalen Hochschulen. Als Geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung ADVICE PARTNERS ist er außerdem Vorsitzender der Crisis Task Force des internationalen Agenturnetzwerks ECCO International Public Relations. Als internationaler Fachautor und Referent publiziert er regelmäßig zu den Themen Krisen- und Risikokommunikation, Public-Affairs, Social-Media und Konfliktkommunikation.
Ralf Leinemann ist Seniorpartner der auf Bau- und Vergaberecht spezialisierten Wirtschaftskanzlei Leinemann Partner Rechtsanwälte. Er ist anwaltlicher Berater bei einer Vielzahl von Großprojekten, insbesondere im Infrastrukturbereich, wo er sowohl vergaberechtlich als auch in der baubegleitenden Rechtsberatung tätig ist. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit ist er als Schiedsrichter und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin tätig. Er ist unter anderem Mitherausgeber der Zeitschriften „VergabeNews“ und „NZBau“.