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Amtszeitbegrenzungen – Die Kanzlerschaft

Donald Trump träumte einst aus Eigeninteresse davon, die Amtszeitbegrenzung für US-Präsidenten abzuschaffen. In Deutschland geht die politische Debatte hingegen eher in eine andere Richtung. Immer wieder finden sich Akteure, die sich für eine explizite Begrenzung der Amtszeit aussprechen. Für einen Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin endet die Amtszeit zwar offiziell mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages, sie kann aber durch eine erneute Wahl durch den Deutschen Bundestag verlängert werden, was in der Vergangenheit mehrfach zu vergleichsweise langen Amtszeiten geführt hat (siehe Grafik).

Um nach dem Scheitern der Weimarer Republik für mehr Stabilität zu sorgen, wurde am 23. Mai 1949 unter Artikel 67 Abs. 1 im Grundgesetz festgelegt, dass der Bundestag dem Bundeskanzler das Misstrauen nur dann aussprechen kann, wenn er mit der Mehrheit seiner Mitglieder eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Bei diesem sogenannten konstruktiven Misstrauensvotum dürfen zwischen dem Antrag und der Wahl nicht mehr als 48 Stunden liegen.

Medaille der Stabilität hat zwei Seiten

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat ein konstruktives Misstrauensvotum erst einmal stattgefunden: Am 1. Oktober 1982. Damals folgte Helmut Kohl (CDU) auf Helmut Schmidt (SPD), nachdem der NATO-Doppelbeschluss über eine diskutierte Stationierung von US-amerikanischen Mittelstreckenraketen und eine schwierige wirtschaftliche Lage die SPD als auch die rot-gelbe Koalition entzweite. Zehn Jahre zuvor war ein Misstrauensvotum der Union missglückt, Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) durch Dr. Rainer Barzel (CDU) zu ersetzen.

Für innen- sowie außenpolitische Stabilität hat diese Regelung in Deutschland auf jeden Fall gesorgt. Deutschland hat sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem verlässlichen und loyalen Partner auf dem internationalen politischen Parkett entwickelt. Dies hat verschiedene Gründe, zu denen aber auch die Kontinuität auf der Exekutivebene gehört. Mit Konrad Adenauer (14 Jahre), Angela Merkel (16 Jahre) und Helmut Kohl (16 Jahre) führten drei Personen fast ein halbes Jahrhundert lang die Geschicke der deutschen Bundesregierung. Allein während der Kanzlerschaft von Angela Merkel (2005-2021) gab es vier US-Präsidenten, fünf britische Premierminister und acht italienische Premierminister.

Doch jede Medaille hat auch ihre Kehrseite – so auch die der Stabilität. Was die einen als verlässlich und standhaft schätzen, kritisieren andere als lethargisch und passiv. Die verschiedenen Bundesregierungen unter Bundeskanzlerin Merkel mussten sich in ihrer gut 15-jährigen Amtszeit bei vielen wegweisenden Themen diese Stagnation und Passivität von der Wählerschaft, der Opposition und teilweise auch Partnern vorwerfen lassen.

Merkels Kanzlerschaft war ein konkurrenzloser Wettbewerb

Eine Demokratie lebt von ihrer Dynamik, dem Wettbewerb und der Tatsache, dass die Verlierer von heute die Gewinner von morgen sein können. Angela Merkel hat es allerdings geschafft, sich während ihrer gesamten Amtszeit Kontrahenten immer wieder elegant und konsequent vom Leib zu halten.

Martin Schulz, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier hießen Angela Merkels Konkurrenten um die Kanzlerschaft in den drei Bundestagswahlen seit 2009 – doch keiner schaffte es, die Raute ernsthaft ins Wanken zu bringen. Sogar innerhalb der CDU gab es selbst zu Merkels bisher schwerster Zeit – während der Flüchtlingskrise 2015 – niemanden, der ihr das Amt hätte streitig machen können.

Dies lag vor allem an Merkels großer Beliebtheit und ihrer Stärke, sich gut zu positionieren: Analog zum Medianwählertheorem positionierte sie sich in zentralen Fragen wie beim Atomaussteig, der Einführung des Mindestlohns und einer eher restriktiven Corona-Politik dort, wo auch die Zustimmung der meisten Menschen in Deutschland zu finden war. Ihre Konkurrenten hatten entweder in der Partei oder in der Bevölkerung keine Basis. Selbst ihre potenziellen Nachfolger auf die Kanzlerschaft können ihr bisher in den nationalen Zustimmungswerten nicht das Wasser reichen.

Es ist schade, dass die Bundesregierung in manchen Politikfeldern trotz hoher Zustimmungswerte keine von Innovationen geleitete Politik durch- und umsetzen konnte. Obwohl sich die Arbeitslosigkeit seit 2005 und unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel mehr als halbiert hat, wurden auch Chancen vertan:  Beispielsweise wurde das Angebot von Frankreichs Präsidenten Macron zur Reform der EU nur in Teilen aufgegriffen und in der Digitalisierung hinkt die Industrienation Deutschland Ländern wie Dänemark, Schweden oder Kanada weiterhin hinterher. In den letzten Wahlkämpfen der Union war die Kontinuität und Merkel als Marke häufig ein beliebtes Stilmittel, das bei der Wählerschaft gut funktioniert hat. Die Deutschen wählten Stabilität über Innovation und sind damit basierend auf Merkels Umfragewerten immer noch relativ zufrieden.

Stabilität ist Trumpf

Mit einem vergleichenden Blick in die Hauptstädte zahlreicher Nationen, insbesondere während der letzten Jahre, kann Deutschland insgesamt froh über diese Stabilität sein. Ob Deutschland mit mehr Personalwechseln im Kanzleramt die Corona-Pandemie oder weitere Herausforderungen wie die der Digitalisierung besser hätte stemmen könnte, kann niemand mit Gewissheit sagen. Dass die zukünftige Person im Kanzleramt dagegen auf ein sehr stabiles Erbe gespickt mit Entwicklungspotenzial für eine Zukunfts- und Innovationspolitik aufbauen kann, ist dagegen gewiss.

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Der Autor Florian Beer berät für ADVICE PARTNERS im Bereich Public Affairs

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