Skip to main content

Briefwahl in Pademiezeiten – Implikationen für die Bundestagswahl 2021

Die Briefwahl hat Konjunktur. Seit ihrer Einführung bei der Bundestagswahl 1957 wuchs der Anteil der Briefwählerschaft stetig und stand bei der letzten Bundestagswahl im Jahr 2017 sogar bei 28,6 Prozent (siehe Grafik). Einen weiteren Boom erfuhr die Briefwahl in der gegenwärtigen Pandemiezeit, wie die ersten beiden Landtagswahlen im Jahr 2021 zeigten. In Rheinland-Pfalz wuchs der Briefwahlanteil sprunghaft von rund 31 Prozent auf über 66 Prozent. Und auch bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg wurden mit 51,3 Prozent mehr als die Hälfte der Stimmzettel postalisch abgegeben.  

Ein ähnlicher Trend lässt sich auch in anderen Ländern beobachten. In den USA stimmten über 100 Millionen Menschen bei der Präsidentschaftswahl im November 2020 durch „early voting“ ab. Die Wahlstimmen konnten in vielen Bundesstaaten damit bis zu zwei Monate vor dem eigentlichen Wahltag abgegeben werden. Auch für die Bundestagswahl am 26. September rechnet der Bundeswahlleiter Georg Thiel mit einem Rekord bei postalisch abgegebenen Stimmen. Es lohnt sich daher, einen Blick auf das Briefwahl-Elektorat zu werfen und die Frage zu beantworten, wer denn überhaupt in Deutschland per Brief wählt.

Die Briefwählerschaft – soziodemografische Merkmale

ForscherInnen haben das Wahlverhalten der Briefwählerinnen und -wähler bei der letzten Bundestagswahl 2017 untersucht. Briefwählerinnen und Briefwähler sind aus unterschiedlichen Gründen motiviert, ihre Stimme postalisch abzugeben: Neben einer verstärkten Nutzung durch Selbstständige und Studierende aus Gründen der Flexibilität nutzen inzwischen auch Menschen, die stark in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, den Komfort der Briefwahl.

Darüber hinaus gibt es regionale Unterschiede im Wahlverhalten zu beobachten: Während in Bayern (35,3 Prozent) und den Stadtstaaten die Briefwahlanteile zuletzt vergleichsweise hoch waren, liegen die Wahlkreise mit dem geringsten Briefwahlanteil im Osten der Republik, und zwar in Sachsen-Anhalt (15,3 Prozent) und Brandenburg (16,2 Prozent).

Doch was bedeutet das im Jahr 2021 konkret?

Bei der Bundestagswahl 2017 konnten die Grünen (+0,8 Prozent), FDP (+1,7 Prozent) sowie die Unionsparteien jeweils knapp 5 Prozent mehr Briefwählerinnen und Briefwähler als Urnengänger von sich überzeugen. SPD (+0,6 Prozent) und Die Linke (+1,7 Prozent) konnten – wenn auch knapp – einen leichten Vorsprung an der Wahlurne gegenüber ihrem Briefwahlergebnis verzeichnen. Schon bei der Bundestagswahl 2013 zeigte sich ein ähnliches Wahlverhalten. Grüne, FDP und Union konnten mehr Briefwahlstimmen verzeichnen, während SPD und Die Linke schon damals mehr Stimmen am Wahltag selbst erhielten.

Es ist zu erwarten, dass dieser Trend auch bei der kommenden Bundestagswahl beobachtbar sein wird. Für die Grünen, die über eine große Basis unter jungen und urbanen Menschen verfügen und die aufgrund gesellschaftlich relevanter Themen – wie dem Klimawandel – leicht zur Stimmabgabe zu motivieren sind, könnte sich diese Entwicklung zu einem Vorteil entwickeln. Aber auch für die Union, bei der viele Wählerinnen und Wähler das Wählen als „Staatspflicht“ betrachten, oder der FDP, als Partei der Selbstständigen, könnte sich der Briefwahltrend als gewinnbringend erweisen. Letztendlich haben aber alle Parteien erkannt, dass es durch die Corona-Pandemie eine Verschiebung hin zur Briefwahl geben wird.

Doch eine steigende Briefwahlquote heißt nicht automatisch, dass bisherige Profiteure wie CDU/CSU oder Grüne automatisch bessere Wahlergebnisse erzielen werden. Die Corona-Pandemie ist eine unvergleichbare Ausnahmesituation, die auch Wählerinnen und Wähler, die bisher die Briefwahl scheuten, am Ende doch noch dafür gewinnen könnte. Vieles wird auch davon abhängig sein, wie hoch die Zahl zusätzlicher Wählerinnen und Wähler sein wird, die unter anderen Umständen nicht zur Wahl gehen würden.

Ob dieser Unabwägbarkeiten wird sich der Wahlkampf in mehreren Facetten verändern. Hatte sich dieser in den vergangenen Jahren sehr stark auf die letzten Wochen vor dem Wahltermin fokussiert, wird er dieses Mal länger, vielfältiger und individueller.

Sollte sich das Pandemiegeschehen in den nächsten Wochen nicht schlagartig bessern, werden wie bei den diesjährigen Landtagswahlen viele Menschen ihre Stimme schon mehrere Wochen vor der Wahl per Brief abschicken. Die Parteien müssen den potenziellen Wähler-Pool also in zwei Gruppen einteilen und eine „frühe“ sowie eine „späte“ Mobilisierungsstrategie erarbeiten. Ein besonderes Gewicht liegt auch auf den TV-Auftritten der Parteien und ihres Spitzenpersonals sowie dem Social Media-Wahlkampf. So könnten etwa direkt nach einem TV-Duell oder einer Kandidaten Live-Schalte auf Facebook die Wahlunterlagen ausgefüllt und abgeschickt werden. Dennoch wird das Hauptaugenmerk des Briefwahlkampfes auf dem Frühsommer liegen, wenn die Parteien versuchen, sich durch ihre Wahlkampfstrategien einen Vorsprung zu erarbeiten und diesen bis zur Wahl zu verteidigen. Hierbei werden sie sich besonders auf das briefwahlaffine urbane Klientel konzentrieren.

Durch die Briefwahl verliert der sonntägliche Wahlakt zwar an Symbolkraft. Letztlich spiegelt dies aber lediglich eine Verschiebung des demokratischen Verhaltens wider, wodurch die Briefwahl eine Normalisierung erfährt. Inwieweit sich bei der Bundestagswahl 2021 die Erfahrungen der Landtagswahlen wiederholen werden und um wie viel der Briefwahlanteil steigen wird, ist schwer vorherzusagen. Tatsache ist, dass die Briefwahl aufgrund der Corona-Pandemie bei der Bundestagswahl am 26. September verstärkt genutzt werden wird. Parteien mit einer individuellen Briefwahlstrategie werden davon profitieren.

Zu diesem Beitrag hat Hendrik Bodewig beigetragen.

Sie haben Fragen oder Anmerkungen? Kontaktieren Sie unseren Autor per E-Mail. Teilen Sie diesen Beitrag gerne auch auf Twitter oder LinkedIn


Der Autor Max Kastner berät für ADVICE PARTNERS im Bereich Public Affairs