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Krankenhausreform und Innovationsförderung – was steht auf der gesundheitspolitischen Agenda der Parteien?

Die Coronapandemie hat die Bedeutung der Krankenhausversorgung für die Gesellschaft so stark hervorgehoben, wie es keine Krankenhausgesellschaft oder Ärztevertretung, geschweige denn alle Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitiker zusammen, je hätten tun können. Im letzten Drittel einer Wahlperiode, die bereits „prä-Corona“ hohe Gesundheitsmehrausgaben verabschiedet bzw. geplant hatte, sind in kürzester Zeit enorme Pandemie-Mittel im Krankenhauswesen mobilisiert worden. Dies zeigt, was möglich ist; gleichzeitig wird es aber kein „weiter so“ geben können in einem System, das oftmals als zu wenig spezialisiert, zu starr, zu Fehlanreizen neigend, zu „wenig pflegend“ – kurzum: als reformbedürftig diagnostiziert wird. Was also planen die Parteien in ihren Wahlprogrammen zur Finanzierung von Krankenhäusern, Vergütung von Leistungen und Förderung von Innovation?

Heute ist das Unterhalten von Krankenhäusern Aufgabe der Länder und diese kommen ihren Finanzierungsverpflichtungen wenig zufriedenstellend nach, beklagt unter anderem die Deutsche Krankenhausgesellschaft in ihrer Bestandsaufnahme 2020. Während die Grünen eine gemeinsame Finanzierung von Bund und Ländern fordern (zudem mehr Krankenhausplanungs-Kompetenz beim Bund – herausfordernd im Föderalismus), möchte die Union eine bedarfsgerechte und flächendeckende Grund- und Regelversorgung (auch auf dem Land) finanzieren. Die SPD spricht sich hingegen für eine grundlegende Finanzierung aus – kombiniert mit den Gewinnen, die in den Krankenhäusern verbleiben sollen. Die Linke geht über das Verbot einer solchen Gewinnmitnahme hinaus und fordert eine Rekommunalisierung von Krankenhäusern und eine Betriebskostenfinanzierung durch die Krankenkassen.

Spannend ist der Ansatz der Grünen zur Finanzierung von Investition und Leistungen, der auch die Meinungen aus Versorgungsforschung und Selbstverwaltung widerspiegelt (vgl. Protokoll der Anhörung im Gesundheitsausschuss im September 2020 oder das SVR-Gutachten 2018): erstens eine grundlegende Strukturfinanzierung orientiert am Versorgungsauftrag – denn die Vorhaltekosten eines Kreiskrankenhauses mit wenigen Betten sind nun einmal andere als die eines Maximalversogers mit mehrstöckigem Bettenturm. Diesen differenzierenden Ansatz bei den Investitionskosten verfolgt interessanterweise auch die FDP. Zweitens wünschen sich die Grünen einen fallzahlabhängigen Vergütungsteil, vermutlich abgedeckt im System der Fallpauschalen. Bei der Reform des sogenannten DRG-Systems hat keine Partei ein „Patentrezept“ präsentiert, denn die Vergütung über Fallpauschalen sind nun einmal mehr Politikum der Selbstverwaltung und weniger der Mandatsträgerschaft. Aus Sicht der Grünen soll die Vergütung nach Menge und Spezialisierung gesteuert werden; die FDP fordert hingegen mehr Vergütung für höhere Qualität. Die SPD möchte Fallpauschalen prüfen, überarbeiten und wo nötig abschaffen. Die Linke will die DRGs sofort abschaffen. Die Union hat keine Forderung zur DRG-Weiterentwicklung ins Wahlprogramm aufgenommen. Zwei kleinste gemeinsame Nenner einer bürgerlich-konservativ Lösung (behutsam reformieren, stärker differenzieren) vs. linken Lösung (radikal umstellen) scheinen in Koalitionsgesprächen also absehbar.

Sogenannte Fehlanreize sind der Politik und den Kostenträgern schon länger ein Dorn im Auge: „Diagnosen, die sich lohnen, werden öfter gestellt“, kritisiert Die Linke. Medizintechnische und pharmazeutische Unternehmen fragen sich hingegen: Wie werden Innovationen künftig angemessen vergütet, damit diese überhaupt entwickelt werden und neue Behandlungsmethoden erst ermöglichen? Die unternehmensnahe FDP hat hier die konkretesten Ansätze: Forschungsförderung, gute Rahmenbedingungen für Schlüsseltechnologien, starkes Patentrecht und die Förderung von Kooperationen – eben auch mit der Industrie. Die CDU möchte den forschenden Pharmaunternehmen pseudonymisierte Versorgungsdaten zugänglich machen. Zudem sollen Zulassungs- und Kontrollstellen, die den neuen EU-Anforderungen zur Qualitätssicherung entsprechen, zügiger ausgebaut werden, um innovative Medizinprodukte verfügbar zu machen. Was will die Linke? Gesundheitsforschung als öffentliche Aufgabe, sozialverträgliche Patentverwertung, gemeinwohlorientierte Produktion der Pharmaindustrie. Und die SPD? Eine weniger an Männerdaten orientierte Forschungspraxis, personalisierte Medizin, staatliche Innovationsförderung. Und die Grünen fordern ein bisschen von allem: geschlechtsspezifische Forschung, mehr Gesundheitsdaten für Forschung, Gesundheitsforschung zur Pandemieprävention.

Worauf sich scheinbar alle einigen können, ist das Motto der SPD: „Gesundheit ist keine Ware“. Nicht zuletzt durch die Coronapandemie scheint parteiübergreifender Konsens zu herrschen, dass die Politik stärker steuernd als bisher in der Gesundheitspolitik erscheinen und dies nicht der Selbstverwaltung allein überlassen soll. Hier wird spannend, welche Wirkung der Wechsel von Karin Maag von der Unionsfraktion in den Gemeinsamen Bundesausschuss entfalten kann. Es sollte jedoch nicht um ein Infragestellen der Selbstverwaltung gehen, sondern darum, dass die Mitglieder des neuen Bundestags sich noch umfassender zu Gesundheitsversorgung und -forschung informieren lassen, um handlungsfähig in der Zukunft, aber auch reaktionsfähig in der heutigen Pandemie zu sein. Corona hat uns gezeigt: ein Teil der Lösung sind eben auch die Unternehmen im Gesundheitsbereich. Und diese gilt es stärker in die Gesundheitspolitik einzubeziehen – durch Beratungsfunktion, Förderung von Forschung und Entwicklung sowie durch die Finanzierung von qualitativ hochwertiger Versorgung. Die öffentliche Aufgabe Krankenhausversorgung stärker partnerschaftlich zu lösen, sollte daher der Appell sein, um die drängendsten Fragen zur Finanzierung von Krankenhäusern, der angemessenen Vergütung von Leistungen und dem Ermöglichen von Innovation in der neuen Wahlperiode anzugehen.

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Der Autor Boris Barth berät für ADVICE PARTNERS im Bereich Public Affairs und Krisenkommunikation